Politik des besetzten Platzes

Während öffentliche Proteste und außerparlamentarische, politische Bewegungen früher Fabrik- und Büroräume besetzten und damit Karl Marx Logik einer „Aneignung der Produktionsmittel“ folgten, hat sich die Technik der Besetzung inzwischen verändert: die weltweiten Proteste der vergangenen Jahre verbindet – jenseits ihrer inhaltlichen Forderungen – eine Gemeinsamkeit: Sie bestehen in der Besetzung eines öffentlichen Platzes, der zur Bühne eines öffentlichen Schauspiels umkodiert wird. Auf dieser Bühne folgt dann die performative Aufführung von neuen Gesellschaftsformen und Lebensweisen. Die Bilder dieser Inszenierungen finden ihrerseits höchste Aufmerksamkeit im digitalen Raum. Sie sind für die Publikation im Netz gemacht und werden durch die Verwendung von SMS, Twitter oder Kommunikation im „deep web“ getragen. Auf diesen ineinander verschränkten Ebenen folgt die Politik des besetzten Platzes ästhetischen Prämissen und Strategien, die es zu untersuchen gilt. Das Forschungsprojekt widmet sich der Geschichte, Kultur und Ästhetik besetzter Plätze. Was bedeutet es, dass politischer Protest ausgerechnet in der Besetzung (nicht immer) zentraler Plätze äußert? Woraus begründet sich diese Protestform? Welche Vorbilder und Traditionen gibt es? Historischer Ausgangspunkt der Überlegungen bilden drei antike Texte: Homers „Odyssee“, in welcher die Freier den Platz des irrfahrenden Odysseus einzunehmen suchen. Aristoteles’ Lehre vom „horror vacui“, bei dem die Angst vor dem leeren Platz umgeht, und Aristophanes „Weibervolksversammlung“, bei dem die Frauen den angestammten Platz der Männer einnehmen. Die Forschungsarbeit widmet sich Elias Canettis „Masse und Macht“, streift – weil sich große Firmen die Strategien der Platzbesetzung ihrerseits angeeignet haben – mit Friedrich von Borries durch „Niketown“ und untersucht verschiedene Platzbesetzungen. Vor allem aber nimmt sie die Occupy-Bewegung in den Blick.